Summer Nights

Falls Sie sich auch für Musikgeschichte interessieren, und zwar mehr für den nicht als klassisch bezeichneten Teil, mir lief gestern bei der Suche nach dem Song von Townes van Zandts das Blog von Michael Miller über den Weg. In welchem jeden Tag ein alter Song vorgestellt wird, mit den historical facts, Videos etc.

Ich lese darin etwas rückwärts. Was ich vermutlich auch noch länger machen werde, und ich stoße auf den nächsten passenden Song zu den Sommernächten. Zu diesen Nächten also, die wir gerade haben. Und die wir in den Nachrichten nun Tropennächte nennen und nicht mehr ganz so arglos verleben können.

Kreideschrift auf dem Pflaster: Frei Knutschen

Ein faszinierendes Stück Geschichte, auch dieser Clip. Eine feine Huldigung an pastellfarbene Strickwaren und schwarze Lederjacken. Mit einer Leichtigkeit in Bezug auf die Betrachtung des Themas vermittelt, die mir mittlerweile tendenziell abgeht.

To say the least.

Und apropos Olivia Newton-John, noch einmal eine Wiederholung für neuere Leserinnen, die nicht alles hier schon kennen. Aus der Reihe Lieblingsvideos diesmal der Jamming-Clip mit Andy Gibb, den Damen und Herren von ABBA und indirekt sogar mit einer Würdigung Brian Wilsons, wie passend. Zu und zu schön, die Szene.

Wenn dieses Video die Laune nicht hebt, spätestens bei der Frage „Do you have any musical brothers or sisters, Andy?“, dann hilft womöglich gar nichts mehr.

Oder, wie in den Kommentaren drüben jemand schreibt: “I feel like my spirit is cleaning from something.”

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Nebenbei stelle ich mit nur milder Irritation fest, dass feierliche, philosophische, wehmütige oder auch entschlussfreudige Gedanken zum sich nun abspulenden zweiten Halbjahr bei mir diesmal komplett ausbleiben, das lief früher anders in mir ab.

Tomorrow is another day, und gleich ist eh schon das nächste Halbjahr und eine Zahl wird erneut weiterdrehen, man muss vielleicht nicht lange darüber nachdenken. Oder, das mag sein, dieses Aufladen der Jahre, Halbjahre, Monate oder Jahreszeiten mit Bedeutung und Pathos legt sich auch irgendwann im Leben. Wie so vieles.

Siehe dazu auch „Silvester verschlafen“, womit ich ebenfalls kein Problem mehr habe. Eine eher entspannende Entwicklung.

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Die Möglichkeit der Meere

In den Calls im Brotberuf merke ich an manchen Hitzetagen, wie vorteilhaft es sein kann, in einer großen Firma zu arbeiten. Man spricht mit Kolleginnen, die Gott weiß wo im Home-Office oder in irgendeinem Bürogebäude sitzen, und immer ist es irgendwo heißer als bei einem selbst. Also noch heißer, viel heißer! Oder aber die Welt geht dort schon unter. Ein Unwetter tobt bereits, Starkregen, Hagel, Sturm und alles. Und man hört im Hintergrund des Gesprächs einen Vorgeschmack auf das, was hier erst in mehreren Stunden ankommen wird.

Die relative Home-Office-Hitze also. Man hat immer nur begrenzt Grund, laut herumzujammern und Gradzahlen zu nennen. Irgendwer meldet garantiert höhere Werte, irgendwer leidet auch sichtbarer und mehr oder ist sogar bereits Opfer geworden, abgemeldet ohne Kreislauf, dahingesunken.

Immerhin, so denke ich dann, und tröste mich wieder erfolgreich selbst, weil der Rest der Welt auch einfach nicht so gut darin ist, wie ich ab und zu kritisch anmerken muss, immerhin sind wir hier nicht im tiefsten Binnenland. Wo tagelang kein Lüftchen geht. Wo also, wie meine Mutter zu sagen pflegt, die aus dem Rheinland kommt und es also wissen muss, im Sommer alle ersticken.

Dagegen wäre ich immerhin in nur ein, zwei Stunden an einem von zwei Meeren.

Ein Pappschild mit der Aufschrift "Bin gleich zurück" liegt auf dem Boden

Ja, ich habe sogar Auswahl an Meeren, ich muss es leider betonen, denn wie posh ist das denn. Auch wenn irgendwer in den Kommentaren gleich erwartbar meinen wird, die Ostsee abwerten zu müssen, da sie kein richtiges Meer sei usw. … Ich kann so weit hellsehen, aber bitte. Tun Sie sich keinen Zwang an.

Ich müsste jedenfalls nur in unser Auto oder in einen Zug steigen. Sie fahren stündlich oder öfter, diese Züge, es ist Nahverkehr. Genug Entschlusskraft, Spontaneität und Aufrafffähigkeit vorausgesetzt – et voilà, la mer. Pfeifend könnte ich dort aus dem Zug steigen, am Zielort mit dem frischen Wind, und Minuten später den Schiffen winken.

Ich weiß selbstverständlich, dass es in meinem Fall dazu keinesfalls kommen wird. Ich werde nicht in zwei Stunden an einem Strand stehen, mit den Füßen im Nord- oder Ostseewasser, ringelnatzmäßig im Muschelkalk oder im feinen Sand, nein. Heute nicht und morgen nicht.

Aber Sie machen sich vielleicht keinen Begriff, wie ungemein beruhigend und erleichternd man es dennoch finden kann, dass es jederzeit so sein könnte. Selbst wenn man diese Möglichkeit monatelang, jahrelang nicht nutzt, wenn man sie über ganze Lebensphasen nicht einmal mehr ernsthaft in Betracht zieht … die Option beruhigt dennoch.

Und zwar sehr.

***

Davon abgesehen ist es sowohl Summer als auch Thursday, und was haben wir da – genau, noch ein Lied, ein passendes, und zwar von Townes van Zandt. Aus dem Jahr 1969, von seinem zweiten Album „Our mother the mountain“. Der Text so gut, wie es bei ihm nun einmal zu erwarten ist:

If only she

Could feel my pain

But feelin‘ is a burden

She can’t sustain

So like a summer Thursday

I cry for rain

To come and turn

The ground to green again.


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Wer auch immer

Bevor die Temperaturen auf Rekordhöhen steigen, sehe ich am frühen Morgen ringsum überall die weit aufgerissenen Fenster und Balkontüren. Als würde man in jeder Wohnung noch einmal tief einatmen. Als würden alle Nachbarinnen und Nachbarn die gerade eben noch als kühl zu bezeichnende Morgenluft gierig einziehen. Etwa so, wie ein starker Raucher nach einem Langstreckenflug an der ersten Zigarette vor dem Zielflughafengebäude saugt, so wirkungsdurstig, mit so drängender Lust am Effekt auf die Nerven.

Sauerstoff, auch ein geiles Zeug.

Gegenüber, wo immer noch gerade die Häuser abgerissen werden, damit, wie wahnsinnig originell für diesen Stadtteil, noch ein Hotel gebaut werden kann, steht von einem ganzen Block mittlerweile nur noch eine Wand. Wenn sie die auch noch einreißen, und es kann sich nur noch um Stunden handeln, haben wir aus dem einen Kinderzimmer auf einmal freien Alsterblick. Pardon, aus dem einen Teenagerzimmer. Von Kindern kann hier keine Rede mehr sein.

Ich überlege, ob der Alsterblick die Lage verändert. Vielleicht sollte ich den entsprechenden Sohn eine Weile aus seinem Raum werfen. Ihn bei seinen Kumpels unterkommen lassen, die schlafen immerhin auch oft genug bei uns, und sein Zimmer für Unsummen untervermieten? Mit bestem Blick? Die Beute könnten wir uns immerhin hinterher teilen.

Es wäre eine erzieherische Maßnahme von Wert und Dauer, meinen Sie nicht? Der Jugend das System nahebringen, das ist doch etwas. Die Wirkungsweisen der Wertschöpfung vermitteln, tanz den Kapitalismus. Aber diese dezente Anspielung auf die jüngere deutsche Musikgeschichte im letzten Satz würde er leider auch schon wieder nicht verstehen, wie ich annehmen muss.

Ich finde es manchmal etwas herausfordernd, was da alles von Jüngeren nicht mehr verstanden wird. Eigentlich möchte ich andauernd den Drosten mit seinem so markanten „Bilden Sie sich fort!“ zitieren. Aber das gilt, wie hier ehrlicherweise zu ergänzen ist, nicht nur gegenüber meinen hauseigenen Teenagern. Auch andere jüngere Menschen verstehen meine Anspielungen, meine Pointen und Bezüge nicht oder nur noch teilweise, gucken manchmal ratlos, wenn ich gerade einen nach eigener Einschätzung spitzenmäßigen Scherz gemacht habe. Weil ihnen komplett der Kontext fehlt, den meine Generation irgendwann gelesen, gelernt oder wie auch immer abgespeichert hat. Es geht bis tief runter im Niveau, bis zu alten Werbe-Jingles und den Sprüchen aus eher mäßigen Fernsehserien, Spielshows und dergleichen.

Machen Sie mal etwa den „Risiko!“-Jingle aus dem Großen Preis von damals in einer Runde von Menschen ohne Kenntnis der Sendung nach – die gucken, als würden sie über eine Einweisung nachdenken.

Es hat also mit Bildung nichts zu tun, recht bedacht, der Begriff ist hier falsch. Es ist nur wieder der Zusammenhang mit dem gesamten, so umfangreichen Assoziationsklimbim, der mit jeder Generation unwiederbringlich verschwindet. Die vor uns haben das auch schon erlebt, man sollte es sich ab und zu aufsagen. Die nach uns werden es auch erleben. Immer fair bleiben, auch beim losen Herumdenken.

Und außerdem, so denke ich, gehen sie immerhin zur Schule, diese beiden Teenager. Sie werden dort schon irgendwas lernen.

Irgendetwas anderes eben.

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Sohn II: „Was ist das hier eigentlich für eine komische Figur, die wie du aussieht?“

Ich: „Das ist die Playmobil-Jubiläumsfigur, die zum 150. Geburtstag von Thomas Mann herausgebracht wurde. Ein Leserinnengeschenk.“

Sohn II: „Geburtstag von wem?“

Ich: „Thomas Mann. Der Schriftsteller. Aus meiner Heimatstadt.“

Sohn II: „Na, wer auch immer.“

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Der Adolphsplatz hinter dem Rathaus im Weitwinkel

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Hip-Hip

Es wird heiß, es wird sogar sehr heiß. Ich sehe am Morgen bei den Glastonbury-Auftritten nach, ob nicht vielleicht ein Clip der Songs zu dieser anstrengenden Wetterlage passt, und ich entscheide mich schließlich für Weezer – Islands in the Sun. Ein lässiges „Hip-Hip …“, um die Kernzeile der überaus komplexen Lyrics zu zitieren.

Ja, das geht auch bei diesen Temperaturen und zumindest zu früher Stunde noch, da kann ich sogar noch dezent mitwippen.

Der Sänger der Gruppe, Rivers Cuomo, ist vier Jahre jünger als ich, und ich überlege etwas länger, wieso mich das eigentlich neuerdings so interessiert. Ich habe doch sonst nicht darauf geachtet, was soll das jetzt wieder. Vielleicht liegt es daran, dass ich auf die Sechzig zugehe?

Es gibt, so las ich neulich irgendwo, deutliche Sprünge im Alterungsprozess des Menschen. Es ist eher kein gleichmäßiger Ablauf, keine erwartbar regelmäßig ansteigende Kurve. Einer dieser Sprünge soll bei der 60 liegen, der andere bei der 45. Also in etwa, versteht sich, so genau berechenbar sind wir auch wieder nicht.

Und zumindest unterbewusst merkt man es vielleicht, denke ich mir, dass einem da gerade etwas Unheimliches geschieht. Und sieht daher ein wenig öfter nach der Vergleichsgruppe. Ja, vielleicht ist es so. Um sich zu orientieren, wo man in diesem Prozess, in diesem Sprung gerade ist, wer alles mit einem springt und in welchem Zustand. Aber wie auch immer.

„Hip-Hip …“ Ein Kritiker nannte den Song, so lese ich, „… so entspannt, dass es praktisch katatonisch ist“ (Quelle). Wenn das nicht gut passt, an Tagen wie diesen.

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Ansonsten schreibe ich am Morgen für die Regionalzeitung meiner Heimatstadt eine Sonntagskolumne, in der ich mich – heiterer, unberechenbarer Freigeist, der ich nun einmal bin – über die in Routinen erstarrten, öden Alltagsabläufe meiner Altersgruppe lustig mache.

Dann schicke ich den Text ab, auf die Minute pünktlich wie immer.

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Gehört: Ein Zeitzeichen über Don Quijote. Ich hatte hier übrigens, fällt mir dabei noch ein, das Buch „Cervantes“ von Bruno Frank empfohlen, das möchte ich der Gelegenheit erneuern. Besonders das Hörbuch, gelesen von Ulrich Noethen. Es war eine gute Sache, auch im Rückblick und mit etwas zeitlichem Abstand.

Währenddessen höre ich weiter den Schnitzler, seine Traumnovelle. Und da ab und zu neue Leserinnen hier mitlesen, wiederhole ich auch noch das Video, welches ich vor Jahren schon einmal gezeigt habe, nämlich die Filmaufnahme vom Schnitzler. Gucken Sie mal, so sah er aus, so lief er herum:


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Leere Stühle und Tische in der Außengastro am Neuen Wall, im Hintergrund das Rathaus

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Eine Meldung aus der Oberliga

Ich hole Bücher aus den öffentlichen Bücherschränken und trage sie nach Hause. Schnell und zupackend bei der Auswahl muss ich dabei sein, denn der eine Schrank ist eine ehemalige Telefonzelle, die am Nachmittag in der Sonne steht. Man fühlt sich im Sommer heißluftfrittiert, wenn man zu lange braucht, um die Buchtitel auf den eingezogenen Brettern dort zu überfliegen.

Ich gehe danach meine Regale neben dem Sofa durch, nehme einige Bücher heraus, stecke sie in meinen Rucksack und gehe damit wieder los. Ich stelle einige davon in die beiden öffentlichen Bücherschränke, die mich gerade am besten versorgen. Es ist ein Geben und Nehmen, sonst kann das Ganze auch nicht funktionieren.

Ich bringe die restlichen Bücher zu meiner Mutter. Sie schafft es nicht mehr so leicht in die Bücherei und hat daher fortwährend Bedarf. Sie verfällt ohne ausreichend ungelesene Bücher auf dem Nachttisch außerdem in eine Panik, die man vielleicht noch aus den Offline-Zeiten kennt. Wenn man sich an diese erinnern kann. Meine Mutter lebt seit einigen Jahren offline, es wurde ihr alles zu kompliziert.

Bei ihr liegen wiederum auch Bücher bereit, die sie schon durchgelesen hat und die also von ihr wegzutragen sind. Um entweder in die öffentlichen Bücherschränke oder in meine Regale gestellt zu werden, je nachdem.

Ein wandelnder Literaturverteiler im Familien- und Stadtteilkontext, das bin ich hier also ab und zu. Es gibt auch schlechtere Rollen, denke ich mir. Eines der Bücher schlage ich beim Verräumen auf, weil mir einfällt, dass ich vor ein paar Wochen bei nur flüchtiger Recherche auf dem Smartphone viel Gutes darüber gesehen habe. Ich stelle fest, dass mir schon die ersten Seiten gefallen, in besonderer Weise sogar. Nach einigen Absätzen möchte ich schon ahnend nicken: „Ach guck, das ist ja was.“ Meine Mutter hatte mich ebenfalls darauf hingewiesen, dies sei mal ein besonderer Roman, ein herausragendes Werk.

Die Lichtjahre von James Salter (Verlagslink), Deutsch von Beatrice Howeg. Nach etwa dreißig Seiten denke ich, dass ich vermutlich bald noch mehr von ihm lesen möchte.

Es gibt eine lange und ansprechende Rezension im Deutschlandfunk aus dem Jahr 1998, da lebte der Autor des Romans noch. Die Kritik kommt bis zum jubelnden Sportvergleich und spricht von der Oberliga. Ich weiß, was gemeint ist, denke allerdings, es kann kein gutes Ende nehmen, wenn man anfängt, Literatur oder Kultur überhaupt mit Sportbegriffen zu analysieren.

Man muss da rechtzeitig abpfeifen.

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Ein Aufkleber auf einem Briefkasten mit der Aufschrift "Vermehrt Schönes!"

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Für eine Handvoll Links

Gesehen: Den ersten Teil einer arte-Doku über die Geschichte des Streetdance. Mit etwas wehem Bedauern, dass ich mittlerweile vom Lindy Hop gar nichts mehr kann. Es hat sich damals doch gut angefühlt, etwas zu können, und es war sogar eine recht angenehme Szene. Wenn man bedenkt, dass Szenen aller Art in der Regel auch schnell hervorstechende eher unangenehme Züge haben, war es vielleicht die beste Szene, die ich etwas näher kennengelernt habe.

So viele waren es gesamt allerdings nicht, dass es eine gesunde Stichprobe wäre. Zumindest meiner Erfahrung nach waren es jedenfalls recht entspannte Menschen, die Lindy-Hopper. Ich habe diese Beschäftigung später verschiedentlich anderen empfohlen oder sie darin bestärkt, es einmal zu versuchen, und es gab noch nie keine Beschwerden hinterher.

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Außerdem sah ich den Auftritt von Pulp beim Glastonbury Festival. Nein, nicht den ganzen Auftritt, nur das weithin bekannte „Common People“.

Wie gewohnt und bewährt las ich anschließend nach, sowohl über den Song (mit der etwas überraschenden Verbindung zu Yanis Varoufakis) als auch über die Gruppe und über den Leadsänger Jarvis Cocker, es sind jeweils Wikipedia-Links. Er ist drei Jahre älter als ich, der Herr Cocker, aber neben ihm wirke ich vermutlich, als sei ich längst jenseits der Siebzig.

Er spricht auch besseres Französisch als ich, aber gut – man muss auch gönnen können. Laetitia Sandier, mit er hier singt, bzw. spricht, kennt man von Stereolab.

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Ich sehe abends und auch tagsüber zwischendurch immer noch die alte Maigret-Serie weiter, es wird aber schlimmer. Denn wenn noch etwa zwei, drei dieser Folgen in der Bretagne spielen, bei eher nebligem Wetter und abseits des touristisch geprägten Sommers, in menschenleeren Gegenden, werde ich am Ende doch noch ein weiteres Buch schreiben müssen. Mit dem zugegebenermaßen etwas sperrigen Arbeitstitel „Es fehlt mir mittlerweile hin und wieder vielleicht doch ein wenig, ab und zu kurz am Meer zu sein.“

Nach einem Beststeller klingt es noch nicht, ich sehe es wohl ein. Da mal weiterdenken.

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Gehört:

Eine Folge Radiowissen über die Medusa, inklusive verschiedener feministischer Deutungsansätze: „Schlangenhaar und tödlicher Blick.“ (23 Min)

Eine Folge „Die größten Hits“ über die Kooperation von Kylie Minogue und Nick Cave and the Bad Seeds: „Where the wild roses grow.“ (5 Min)

Eine weitere Folge dieser Reihe über Scatman John: „Im a Scatman.“ (8 Min)

Und dann eine Folge der Reihe Lesart, in der es ein Interview mit dem Historiker Matthias von Hellfeld über sein Buch „Die verunsicherte Nation“ gab, womit Deutschland gemeint ist (hier der Link zur Verlagsseite mit dem Buchtitel). (14 Min)

Außerdem eine Sendung „Exilliteratur – Schreiben in der Verbannung“, wobei die Literatur gemeint ist, die von Geflüchteten, Vertriebenen und Verfolgten aus anderen Ländern bei uns geschrieben wird. (55 Min)

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In Sachen Hörbuch wurde währenddessen der Täter im „Unterm Birnbaum“ von Theodor Fontane in der ARD-Audiothek dergestalt gerichtet, dass die Idee dazu auch von E.T.A. Hoffmann hätte kommen können. Es las Joachim Höppner, und er las sehr gut.

Ich bleibe beim repetitiven Genießen und höre weiter Werke, die ich schon kenne, lasse mich vom Neuen nicht stressen  – von FOMO zu JOMO im kulturellen Kontext. Diesmal die Traumnovelle von Arthur Schnitzler, wieder aus der ARD-Audiothek. Bei der man sich leider etwas anstrengend muss, Nicole Kidman und Tom Cruise nicht dauernd mitzudenken, denn sie stören doch etwas.

Die Traumnovelle ist von 1925, der Birnbaum von 1885. Aber es liegen gefühlt weit mehr als vierzig Jahre zwischen den beiden Werken. In der Entwicklung des Schreibtils, des sittlichen Empfindens, der gesellschaftlichen Moral etc. muss eine längere Spanne liegen, möchte man meinen.

Wie schnell Kulturgeschichte immer weiter eskaliert, nicht wahr. Wenn wir jetzt vierzig Jahre zurückgehen, war die Welt da etwa auch so dermaßen anders … ja, durchaus.

So ist es wohl.

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It’s sad and it’s sweet

Das Schweifhaar mongolischer Hengste – das Format „Was schön war“ prompt wieder drüben im Landlebenblog. Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert.

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Ich las eine Geschichte im Musikkontext, von der ich bis vor ein paar Tagen nichts wusste. Die ich aber doch so nett finde, dass ich sie Ihnen nun in aller Kürze vermitteln möchte, weil Sie sie vielleicht auch nicht kennen. Immer service-orientiert bleiben! Beim Piano Man (Wikipedialink), also bei dem Lied von Billy Joel, das so gut wie jeder Mensch zumindest teilweise mitsingen kann, sind die Namen im Songtext echt. Der Künstler hat damals, so sagte er viel später, keineswegs mit einem so durchschlagenden Erfolg gerechnet und beiläufig die Personen für den Song verwendet, die da vorkamen. In seinem Ausschnitt der Wirklichkeit.

Der Name des Real Estate Novelist war also tatsächlich Paul. Der Barkeeper hieß John und vor allem, was noch viel besser ist, war Davy also im Ernst in der Navy. Trotz des überaus simplen und so naheliegend ausgedacht wirkenden Reimes. Man hört das Lied dann doch etwas anders, wenn man das mitdenkt, nicht wahr.

Ich weiß nicht, ob sie nicht vielleicht am Ende schon jemand geschrieben hat, aber die Geschichte, wie dieses Lied auf John, Paul und Davy später im Laufe der Jahre gewirkt hat, diese Geschichte wäre es doch allemal wert, eine ansprechende Short Story zu werden. Als das Lied ein immer größerer und noch größerer Erfolg wurde. Bis es dann allgemeines Kulturgut wurde, welches schließlich ganze Generationen mitsangen und bei Karaoko-Abenden volltrunken feierten.

Wenn es nicht sogar ein Film werden könnte. Man sieht es doch leicht vor sich, nicht wahr. Beginnend vielleicht mit einer Einstiegsszene am letzten Tag eines Soldaten in einer militärischen Einrichtung. Er ist schon ein älterer Mann und es sind die letzten Stunden, die unser Davy noch in der Navy hat. Er ist nur noch einen Nachmittag von seiner Pension entfernt, er räumt seinen Schreibtisch leer.

Blick von der U-Bahnstation Elbbrücken Elbabwärts

Jemand bleibt in der Tür des Büros kurz stehen und macht mit einer etwas unangenehm wirkenden, etwas zu jovialen Selbstverständlichkeit einen Witz darüber, dass Davy nun aber nicht mehr in der Navy … Einen eher flachen Scherz macht da jemand, pfeift vielleicht auch kurz und keineswegs in böser Absicht die Melodie. Was der Angesprochene dann aber mit unerwartetem Zynismus kommentiert oder doch jedenfalls mimisch auffällig beantwortet. Es wäre doch ein naheliegender Einstieg in die Rückschau auf die Jahre mit dem Song. Ein Einstieg in eine Rückschau, bei der es – Sie merken es vermutlich auch – bald eine Brücke zu anderen Songs von Billy, wie etwa zu „I loved these days“, geben kann.

Denn unser Film wird fortgeschritten melancholisch. Wenn nicht sogar todtraurig, wie es bei Erinnerungsthemen seit jeher Tradition und auch fast unvermeidlich ist. Er kann kurz vor seinem Ende erst in eine immerhin zartgraue Stimmung drehen, ein wenig Licht in die Handlung lassen, so dass die Menschen nur leicht angebittert und angenehm wehmütig, nicht aber in schwerer depressiver Verstimmung aus dem Kino gehen.

Vermutlich wäre es etwas zu dick aufgetragen. Aber dass Davys Frau einmal Kellnerin war, damals in dieser Bar, als sie „practicing politics“ noch mit den Hoffnungen der jungen Erwachsenen verbunden hat (hier bieten sich Bezüge zur desolaten Gegenwart der USA zwanglos an), es versteht sich fast von selbst.

Und wer trägt denn am Ende öfter zu dick auf, das Leben oder wir Autorinnen. Also bitte.

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Was schön war

Lange nicht mehr gehabt, diese Überschrift. Es ist aber nicht so, dass nichts jemals schön war, in der Zeit seit dem letzten Eintrag aus der Reihe, der vermutlich Jahre her ist. Ich hatte das Format aber, warum auch immer, nur noch lesend parat (etwa regelmäßig hier), nicht mehr schreibend. Obwohl gerade diese Rubrik sinnvoll, ausdrücklich lebensbejahend und gute Stimmung verbreitend ist. Daher vermutlich sozial erwünscht und alles. Also bitte.

Es geht aber nur um eine Kleinigkeit. Um eine rein innere Angelegenheit auch noch, und zwar um eine, die nicht einmal besonders auffällig des Bejubelns wert war. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Aber eigentlich doch, wenn auch nur für mich. Aber nun, es geht hier um mich, siehe etwa den Titel der Seite.

Und zwar betrifft das Bemerknis das Entstehen des Blogeintrags mit dem Herbstmodenmann, das war dieser hier. Das war nämlich an einem Morgen, an dem ich mit dem sicheren Gefühl aufstand, keine Restnotizen oder Stichworte, keine brauchbaren Erinnerungen und keine auch nur ansatzweise verfügbare Idee für einen Text zu haben. Komplette Ebbe im Hirn.

Was an sich kein großes, bedrängendes Problem ist. Immerhin bin ich keineswegs verpflichtet, jeden Tag zu bloggen. Die Welt da draußen geht gewiss nicht unter, wenn hier einmal kein Text erscheinen sollte. Das Blog ist am Ende leicht entbehrlich, es gehört nicht zur kritischen Infrastruktur, ist nicht systemrelevant und überhaupt nur von marginalem Interesse für die Öffentlichkeit. Wie alle Blogs.

Immerhin aber, und das ist schon schön genug und nicht selbstverständlich, bedauern es zuverlässig wenigstens ein paar Menschen, wenn hier nichts Neues erscheint. Das ist ebenso erfreulich wie großartig. Und zwar auch dann noch, wenn man schon jahrzehntelang bloggt und also denken könnte, man sei mittlerweile halbwegs daran gewöhnt. Es hört aber nicht auf, dass ich mich darüber freue. Es motiviert fortwährend.

Kurz nach meinem allerersten Text im ersten Blog kommentierte damals jemand, zu meiner großen Freude, ich solle doch bitte mehr schreiben. Das mache ich seitdem in stets bemühter Wiederholung. Es ist aber tatsächlich etwas von dieser ersten Freude an der Tätigkeit, an diesem Spaß hängengeblieben, über all die Jahre.

Ich hatte dennoch an diesem Morgen mit dem Herbstmodentext zunächst nur einen eher dünnen Gedanken, nämlich den bemerkenswert wenig geistreichen Satz, dass mir zu warm war. Den schrieb ich dennoch hin, denn man muss irgendwo anfangen. Dann habe ich es etwas weiter erklärt, warum mir zu warm war. Das war die naheliegendste Ergänzung. Man muss sich manchmal warmtippen, auch wenn einem zu warm ist. Bis der Text laufen lernt.

Dann fiel mir dieser Traum ein, dann auch noch, was ich am Abend davor gelesen hatte, und schließlich, welche Musik ich gehört hatte.

Das hat dann gereicht, und es war schön, dass es auf diese Art gereicht hat. Denn immer noch fühlt es sich herrlich befriedigend für mich an, einen Text geschrieben zu haben. Eine Idee, irgendeinen nachweisbaren Gedanken gehabt zu haben. So kann ich mir aus dem Nichts oder nur aus meinem Hirn, manchmal liegen die beiden Begriffe verdächtig nahe beieinander, ein kleines Glück basteln, und offensichtlich kann ich es sogar immer wieder. Selbst an ausdrücklich gebraucht wirkenden, unzumutbaren und eher drittklassigen Tagen kann ich das. Wenn ich schon sonst wenig kann, aber das immerhin. Und es ist nicht nichts.

Einige Menschen mochten den so entstandenen Text in der Folge sogar, mehrere bedankten sich für die Musikhinweise. Es geht aber nicht um die Anzahl der Likes, es geht darum, dass es überhaupt passiert. Darin liegt für mich immer noch das Besondere.

Denn man macht etwas, und man macht es als Autor ausdrücklich ganz allein, ohne jeden Außenkontakt. Man denkt aber, versteht sich, im Hintergrund als Grundrauschen doch zumindest manchmal an andere. Diese anderen Menschen sollen es immerhin lesen, das ist hier kein geheimes Tagebuch. Ich ziehe mich beim Schreiben also in einen seltsam indirekten, aber doch vielfältigen Kontakt mit mir nur zu einem kleinen Teil bekannten Menschen zurück.

Und sich für Kontakte allein zurückzuziehen – wie passend kann eine Beschäftigung für eher introvertierte Menschen denn sein.

Es gibt außerdem diesen Satz, von wem war der jetzt noch, „Ich schreibe mir mein Leben zurecht“, den ich für bloggende und auch anderweitig schreibende Menschen immer noch überaus gelungen finde. Auch wenn der Satz am Ende von mir selbst gewesen sein sollte, ich bin mir gerade nicht sicher und finde keinen Beleg, pardon.

Ich weiß im Erleben oft noch nicht, was später Text werden könnte. Es fällt mir erst hinterher auf, teils mit starker Verzögerung. Es ist manchmal ein beliebig anmutender Aspekt des Tages. Manchmal nur ein winziges Teilchen, ein Gedanke lediglich, eine bloß halbe Idee. Aber das wird dann Text. Also wird es auf eine gewisse Art eine Geschichte, die dann auch meine Geschichte ist. Auf doppelte Art, geschrieben und gehabt.

Been there, done that, got the blog post.

Und das verhilft mir schließlich zu einem Zustand der geistigen Aufgeräumtheit. So fühlt es sich wenigstens an. Beweise müssen hier ausbleiben, aber selbst der nur gefühlt aufgeräumte Zustand reicht für mich vollkommen aus, den möchte ich nicht mehr missen.

Genau das war jedenfalls schön. Dass mir das noch einmal so deutlich auffiel, wie es von einem gedanklichen Nichts oder Ungefähr, von einem bloß vagen Wabern blasser Gedanken in etwa einer Stunde zu einem mehr oder weniger strukturierten Text kommen kann. Der dann auch noch andere erreicht und hier und da sogar gefällt.

Eine herrliche und auch beglückende Angelegenheit ist das für mich, immer noch und weiterhin.

Blick über die Binnenalster vom Jungfernstieg aus

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Zwischen Jammer und Action

Es gab ansonsten eine treffende, wenn auch unangenehme Spiegelung gewisser Nachrichten aus den Medien bei uns im Stadtteil, teils gleich vor unserer Haustür. Wieder so, dass man denken konnte: „Ach guck, es ist alles wirklich so.“

Und zwar bezog sich dies auf Meldungen, welche über den Anstieg der menschlichen Aggressionen bei Hitze statistisch unterfüttert berichteten. Steigende Temperaturen bringen der Polizei und anderen Ordnungskräften mehr Arbeit, es ist an Einsatzzahlen und Thermometern deutlich abzulesen. Und vermutlich ist es auch kaum überraschend. Dass ich aber gleich fünf Schlägereien auf meinen Wegen durch die Stadtmitte gesehen habe, in nur einer Woche, es kommt mir doch etwas übertrieben vor. Da trägt die Wirklichkeit erneut zu dick auf und man mag es als Chronist kaum abschreiben, was da vorfällt.

Aber so war es eben. Fünf, fast auf einen Streich, immerhin locker über die Wochentage verteilt. Sämtlich waren sie in gewissen Szenen, die von außen leicht abgrenzbar wirken. Die Menschen, die sich da in die Haare gerieten, waren entweder betrunken oder auf andere Art deutlich erkennbar nicht mehr im Normalzustand. Weder im seelischen noch im sozialen Normalzustand. Bei aller Schwierigkeit der Definition, die man selbstverständlich sofort zugestehen muss.

Es werden jedenfalls bei fast allen Vorfällen in dieser Ausprägung diverse Drogen in Betracht gekommen sein. Ich bin nicht kundig, und Gott sei Dank bin ich es nicht, was hier alles gerade umläuft.

Auch Frauen waren unter den Tätern und Opfern zahlreich vertreten. Fast so viele waren es, dass man als alter weißer Humorist mit abgestandenem Boomer-Humor gar keine Quotenlösung für diese, haha, Freizeitbeschäftigung fordern müsste.

Als Mensch aber, der mit Terence Hill und Bud Spencer großgeworden ist, wundere ich mich immer wieder, wie außerordentlich enttäuschend die Geräusche einer Schlägerei außerhalb von Kinofilmen doch sind. Kein einziges lustiges, knallendes *Smack* hört man da, nicht einmal andeutungsweise. In den meisten Fällen hört man eher etwas, das man sich als dünngedrucktes, in kleinerer Punktzahl ausgeführtes, ausgesprochen blasses, zögerliches *Batsch* vorstellen müsste.

Es ist ein herb enttäuschendes Geräusch. Das vielleicht ein wenig an ins hohe Gras fallende Äpfel im späten Juni erinnert. Aber sie sind unbedingt klein und ein wenig angegammelt, diese fallenden Äpfel, sonst stellt man sich auch dieses Geräusch womöglich noch zu munter vor. Es ist aber nicht munter. Es ist einfach nur trostlos.

Und viele Schläge und Tritte ergeben nicht einmal Geräusche. Weil sie nicht treffen, besonders bei den Opfern des Alkohols nicht. Sie bringen nur die Ausführenden durch den fehlgeleiteten Schwung zu Fall. Was aber auch nicht lustig aussieht, etwa wie in einer alten Schwarzweißkomödie, kurz nach der Stummfilmzeit gedreht. Es sieht lediglich auf eine fürchterlich erwartbare Art nach einem Problem aus. Nach einem sozialen, medizinischen, psychologischen und polizeilichen Problem. Kein Mensch lacht, der das sieht. Wenn es zusätzlich nach einem dentalen Problem aussieht, was schnell und nicht selten passiert, da Betrunkene mit eingeschränkten Reflexen oft aufs Gesicht fallen, verziehen fast alle, die Szenen dieser Art im Vorbeigehen beobachten, das Gesicht in einer Weise, als würde schon das Zusehen schmerzen. Und so ist es wohl auch.

Bei den wenigen besser gezielten Schlägen und Tritten, die ihre Opfer tatsächlich treffen, ist der Impact dann keineswegs so, wie man es sich als Jugendlicher im Kino vorgestellt hat. Damals reichte verlässlich jeweils ein einziger Schlag, um jemanden zuverlässig aus der weiteren Handlung des Films oder wenigstens der Szene zu schalten. Ein Schlag, ein Umfallen, ein Liegenbleiben. So war es doch, und so gehörte es auch.

So ist es aber nicht. Wenn man nicht gerade auf jemanden trifft, der reichlich Kampfsporterfahrungen hat, dann schlagen die Menschen durchweg kunstlos, fast ziellos und lediglich affektgesteuert einfach um sich, in der Regel fast blind. Und sie treffen dabei Oberarme und Schultern, Beine und Brustkorb. Kein Opfer fällt da sofort um und macht dann für den Rest der Handlung nicht mehr mit.

Eine Schlägerei in der Großstadtwirklichkeit ist ein hauptsächlich trauriger Anblick. Wenn man genug räumlichen Abstand zur gerade eskalierenden Szene hat, wirkt das Traurige auch deutlich stärker als das Gefährliche.

Bilder des Jammers also, keine Bilder der Action. Sie werden wenige Minuten lang aufgeführt, höchstens für fünf Minuten. Dann ist die Polizei da und das Ganze wird im Nachgang zu einem womöglich noch trostloseren Akt.

Was noch? Demnächst vielleicht jene Geräusche mit Sorgfalt neu bewerten, welche mit Dringlichkeit verliebte Paare in Büschen und auf Bänken nachts im Park machen, wie man es ebenfalls aus Filmen kennt.

Aber da habe ich erst ein Beispiel aus dieser Saison, das reicht noch nicht.

Ein von innen mit Papier abgeklebtes Schaufenster, auf die Scheibe wurde "Mieten runter, Titten raus!" geschrieben

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Im Traum war ich der Herbstmodenmann

Die Hitze des Sonntags glüht immer noch nach in dieser Wohnung. Nach jedem Sommer vergesse ich diese langanhaltenden Spätwirkungen. Und bin dann im folgenden Juni oder Juli wieder überrascht, dass die Stadt nach einem Tag mit Regen und Wind längst abgekühlt und erfrischt ist, wir in dieser Bude aber weiterhin langsam garziehen.

Wir können diese Jahreszeit nur mit etwas abgesenktem Energielevel durchstehen. Es kann daher leider auch sein und ist fast zu erwarten, dass hier morgens einmal kein Text zur Verfügung stehen wird. Auch für Texte gibt es richtige und falsche Temperaturen, in denen sie gedeihen und sich vermehren können – oder eben nicht. Siehe Säugetiere, Reptilien etc.: Es geht den Texten wie den Leuten.

Bis in die Träume sogar merke ich die Wärmebelastung. So träumte ich etwa von Herbstmode in der letzten Nacht. Und zwar dergestalt, als sei ich da vom Fach, mit ausreichenden Kenntnissen versehen und irgendwie routiniert und bewandert. Sogar auf einem nicht eben geringen Niveau. Mangelndes Selbstbewusstsein ist offensichtlich nicht eben mein Hauptproblem um Mitternacht, wie ich am Rande mit nicht geringem Interesse feststelle. Ich finde es bemerkenswert, dass ich mir im Traum Fachkenntnisse einer fremden Branche in zureichendem Ausmaß per Fantasie erworben zu haben meinte. Was man nachts alles so kann.

So treibt mich die Sehnsucht nach besseren Umständen jedenfalls durch alle Stunden hindurch. Im Traum war ich der Herbstmodenmann, und wie geschmackvoll ging es dabei zu. Mit welcher innerlichen Zustimmung betrachtete ich die von mir verantworteten Kollektionen, wie gemütlich und doch elegant waren die Strickpullover, wie angenehm gedeckt die Farben.

Aber wie auch immer. Die nächsten 30-Grad-Tage sind im Wetterbericht schon zu sehen, da kommen sie auf mich zu. Es geht also noch eine Weile so weiter und ich will gar nicht jammern, ich habe lediglich überhaupt nichts anderes zu berichten.

Denn das Sein bestimmt das Bewusstsein, und mich dominiert im Moment das Zuwarmsein.

Ein Aufkleber mit dem Text "Uns gehts gut?" an einem Laternenmast

Was kann man da tun. Ich lese abends einen Roman, in dem die Liebe so intellektuell und distanziert seziert wird, dass einem davon gewiss nicht wärmer werden kann: „Das Genie und die Göttin“ von Aldous Huxley, Deutsch von Herberth E. Herlitschka. Die Zuschreibung „Meisterwerk“ würde ich nicht unterschreiben, aber der Freundeskreis britischer Roman wird das Buch dennoch genießen können.

Ich höre außerdem wiederholt ein Album, bei dem man Gänsehaut bekommt. Ich lese den Lebenslauf des Künstlers nach, um den es da geht, und bei dem es einem angenehm kalt den Rücken runterlaufen kann. The late great Daniel Johnston, die Wikipedia hier zu ihm. Wieder einer also, der beizeiten into obscurity driftete, es ist wirklich ein Muster in meinem Musikgeschmack und ich erwarte schon nichts anderes mehr, wenn ich die Wikipedia oder andere Erklärbarseiten ansteuere. Ein schwieriges Zeichen ist es aber vielleicht für die Künstlerinnen und Künstler, die noch leben und bei denen so etwas noch nicht steht, denn wen ich mag, der wird verrückt. So sieht es wohl aus.

Das Album enthält Originalaufnahmen und Cover, hier etwa M. Ward mit der fortgeschritten traurigen „Story of an artist“:

We don’t really like what you do
We don’t think anyone ever will
It’s a problem that you have
And this problem’s made you ill.”

Es ist etwas chilling, das zu hören, und das ist hier gerade erwünscht so.

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